Es ist vollbracht!
Imitatio Christi im Papamobil.
Adolf Muschg
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"Der Krieg hat uns zu unserer Überraschung klar gemacht, dass selbst das schrecklichste Leben noch Leben ist. Die Menschen in den Ghettos und Lagern liebten sich, sie sangen sentimentale Lieder und führten politische Diskussionen. Es gab Abendkurse für Deutsch und Französisch, und am Nachmittag trank man Ersatzkaffee, wenn man welchen hatte. (Auch im Angesicht des Todes nähte ein Mensch noch einen Knopf an.) Je näher uns der Tod kam, desto mehr weigerten wir uns, seine Existenz hinzunehmen. Jeder klammerte sich an seine kleinen Hoffnungen, meist waren es völlig triviale Dinge wie der Genuss einer Zigarette. Ich erinnere mich an einen jungen Mann, der sich weigerte, sich von seinen Mathematikbüchern zu trennen. Er war ständig in mathematische Aufgaben vertieft, weil er das zweite Studienjahr nicht wiederholen wollte, und strahlte dabei eine enorme Ruhe aus. Viele Menschen in den Ghettos und Lagern spielten Karten, auch Domino und Schach. Manchmal konnte man für Momente alles vergessen, und dann kam man sich nicht wie in einem Todesghetto vor, sondern wie in einem Sommerlager für zu große Kinder, die völlig in ihr Spiel vertieft waren."
aus: A. Appelfeld: Kindheit im Holocaust. Le Monde dipl., 11.02.05
bigapple - 3. Apr, 00:40
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